Abriss der hethitischen Geschichte

Von ca. 1600-1200 v. Chr. beherrschten die Großkönige der Hethiter zumeist den größten Teil der heutigen Türkei, außerdem für längere Zeit auch die nördliche Hälfte Syriens und zeitweilig sogar Zypern. Die Pharaonen Ägyptens und die Könige Ba­byloniens betrachteten sie als ihre gleich­rangigen Kollegen, mit denen sie in regel­mäßigem diplomatischen Kontakt standen und paritätische Staatsverträge abschlossen. In ihren Palästen und Tempeln befanden sich große Sammlungen von Keilschrifttafeln in sie­ben verschiedenen Sprachen, und ihre Haupt­stadt Hattuša (beim heutigen Landstädtchen Boğazkale, früher Boğazköy - „Schlucht­dorf“ -, 160 km östlich von Ankara) war im 13. Jh. v.Chr. mit fast 2 km2 eine der ausge­dehntesten Stadtanlagen der Welt.

Die Erinnerung an die Großreiche der Ägypter, Babylonier und Assyrer hat sich durch die biblische und die klassische Über­lieferung über die Jahrtausende bis in die Neuzeit erhalten. Das anatolische Reich der Hethiter dagegen fiel so vollständig in Ver­gessenheit, daß z.B. Herodot ein hethitisches Relief in Westkleinasien einem ägyptischen Pharao Sesostris zuschrieb. Allerdings führ­ten einige Kleinstaaten in Südanatolien und in Nordsyrien die hethitischen Traditionen auch nach der Zerstörung des anatolischen Groß­reiches am Anfang des 12. Jhs. v.Chr. noch mehrere Jahrhunderte lang fort.

Letzteres ist auch der Grund dafür, dass der Name der Hethiter nicht gänzlich ver­schwand: In der Bibel ist verschiedentlich von ihnen die Rede. Die biblischen Erwähnungen von Hethitern spiegeln nämlich die Situation nach der Zerstörung des hethitischen Groß­reiches, als der Landesname Hatti - ursprünglich eine Bezeichnung für das Gebiet im zentralen Nordanatolien mit der Haupt­stadt Hattuša - auf das Gebiet der syri­schen Nachfolgestaaten des Hethiterreiches übergegangen war: Wenn z.B. der Assyrer­könig Sargon II. im 8. Jh. v.Chr. von einem „Palast nach Art des Landes Hatti“ sprach, so meinte er Syrien, nicht Anatolien.

Durch die Entdeckung und Auswertung von Tausenden bei den Ausgrabungen in Hattuša entdeckten Keilschrifttafeln – darunter umfang­reiche Annalen sowie königliche Edikte und Briefe – konnte die Geschichte der Hethiter in wesentlichen Zügen rekonstruiert werden. Gleichwohl ist noch vieles unklar, z.B. die genaue Chronologie der Könige, und immer wieder ergänzen oder verändern neue Textfunde unser Geschichtsbild, wie dies vor allem durch aufsehenerregende Entdec­kungen der 1980er und frühen 1990er Jahre geschah.

Die Zeit der assyrischen Handelskolonien in Anatolien

Immer noch im Dunkeln liegt die Frühzeit der Hethiter. Sicher ist, dass die he­thitische Sprache zu der weitverzweigten indogerma­nischen Sprachenfamilie gehört, woraus man schließen darf, dass die Hethiter nach Ana­tolien eingewandert sind. Aber schon die Fra­ge, wann diese Einwanderung stattfand und welche Route sie nahm, ist bis heute nicht zuverlässig zu beantworten. Sicher ist weiterhin, dass Hethiter bereits in Anatolien lebten, als Kaufleute aus dem fernen Assyrien im 19. und 18. Jh. v.Chr. Handelskolonien in verschiedenen Städten Anatoliens gründeten und die mesopotamische Keilschrift in Anatolien einführten.

Bis in die Zeit der assyrischen Han­delskolonien geht ein hethitischer Text zu­rück, der sich in Abschriften in den Tafel­samm­lungen von Hattuša erhalten hat. Hier berichtet ein König namens Anitta von den Taten seines Vaters Pithana und von seinen eigenen Feld­zügen, bei denen er sich ein Reich eroberte, das große Teile Zentralanatoliens umfasste. Pit­hana stammte aus der noch nicht wieder­entdeckten Stadt Kuššar, aus der auch die spätere hethitische Dynastie kam. Nachdem er durch einen nächtlichen Überfall eine der bedeutendsten anatolischen Städte, Kaniš (türk. Kültepe „Aschenhügel“, beim heutigen Kayseri gelegen), in seine Gewalt gebracht hatte, verlegte er seine Residenz dorthin. Kaniš war seit langem die Zentrale der as­syrischen Kaufleute, die dort in einer Händ­lervorstadt (assyr. kārum) wohnten. In ihren Briefen nehmen sie gelegentlich Bezug auf den „Großfürsten“ Anitta, und daher können wir diesen Herrscher grob mit der mesopota­mischen Geschichte verbinden und etwa in in die Zeit um 1730 v.Chr. datieren. Anitta eroberte und zerstörte auch die Stadt Hattuša, die bis dahin Zentrum eines selbständigen Fürsten­tums gewesen war, und belegte die Ruine mit einem Fluch.

Anatolien zwischen der Kültepe-Zeit und der Zeit des „Alten Reiches“ der Hethiter

Über die Zeit nach Anitta ist wenig bekannt. Für das darauf folgende Jahrhundert fehlt es ganz an zeitgenössischen Quellen, denn auch der assyrische Anatolien-Handel kommt zum Erliegen. Nur aus der Rückschau späterer he­thitischer Texte gewinnen wir einige wenige Hinweise auf die geschichtlichen Ereignisse. Die politische Landkarte Anatoliens wies demzufolge im 17. Jh. v.Chr. wieder eine Reihe von Stadtstaaten auf, und wieder war es eine Dynastie aus Kuššar, die in langwierigen Kämpfen große Teile Anatoliens eroberte.

Der älteste bekannte Herrscher, auf den sich die Könige der Hethiter zurückführten, hieß Huzzija. Denselben Namen trug schon in der Zeit der assyrischen Handelskolonien ein König der am Schwarzen Meer gelegenen Stadt Zalpa.

Zalpa spielt in der ältesten hethitischen Über­lieferung eine ganz besondere Rolle: Eine althethitische Tontafel, die 1970 in Hattuša gefunden wurde, überliefert eine Legende, der zufolge eine Königin von Kaniš 30 Söhne in einem einzigen Jahre geboren habe und sie in Körbchen auf dem Fluss ausgesetzt habe. Der Fluss - zweifellos der heute Kızıl Irmak genannte längste Fluss Anatoliens - habe sie ins Land Zalpuwa, d.h. ins Gebiet der Stadt Zalpa, getragen, wo sie aufge­wachsen seien. Später seien sie nach Kaniš gezogen und hätten ihre 30 Schwestern geheiratet, die die Königin ebenfalls geboren hatte.

Die Inter­pre­tation dieser Erzählung ist schwierig. Handelt es sich um eine Einwanderungssage, wie ver­mutet wurde? Soll der Inzest erklären, warum es später zu einem Zwist kam zwischen dem Großkönig und der Stadt Zalpa? Verweist der Text auf die Herkunft der Königsherrschaft aus Zalpa? Ein altertümliches Ritual spricht davon, dass die Throngöttin dem König die Königswürde „vom Meere“ gebracht habe – und am Meer liegt Zalpa, wie aus der Legen­de von den Kindern der Königin von Kaniš klar hervorgeht. Vielleicht stammt also die hethitische Dynastie ursprünglich aus Zalpa, bevor sie Kuššar als Residenz wählte.

Labarna I. und Hattušili I.

Einer der Nachfolger Huzzijas ist La­barna I., dem die Überlieferung die Erobe­rung einiger Städte im „Unteren Land“, d.h. in der Gegend des Großen Salzsees (türk. Tuz Gölü) zuschreibt. Aber erst für Labarna II., der auch den Namen Hattušili I. trug, stehen königliche Eigenbezeugungen zur Verfügung, die allerdings überwiegend nur aus jüngeren Abschriften bekannt sind. Der Name Hattušili zeigt, dass der Fluch, den einst Anitta gegen jeden ausgesprochen hatte, der es wagen würde, den von ihm zerstörten Ort wieder zu besiedeln, nicht lange beachtet worden war. Die geographische Lage der Stadt war zu vorteilhaft, als dass man sie lange „den Stieren des Wettergottes zur Weide“ überlassen mochte, wie Anitta verfügt hatte. Sie war sicherlich schon bald wieder besiedelt worden und wurde spätestens unter Hattušili Residenzstadt der Könige.

Hauptziel der hethitischen Expansion wurden nun die syrischen Stadtstaaten, die am Schnittpunkt wichtiger Handelsrouten la­gen, durch Handel, Handwerk und Landwirt­schaft einen enormen Reichtum erworben und – begünstigt durch enge Verbindungen mit Mesopotamien – eine hochstehende Kultur entwickelt hatten.

Annalen Hattušilis I.

Hauptgegner war Halab, das heutige Aleppo, das anderthalb Jahrhun­derte früher neben dem Reich Hammurapis von Babylon die stärkste Macht in Vorder­asien gewesen war, diese Position aber längst verloren hatte. Dennoch war die Eroberung Nordsyriens für Hattušili kein leichtes Spiel, denn hinter Aleppo stand eine Groß­macht, die im 17. oder frühen 16. Jh. v.Chr. in Nordmesopotamien entstanden war: Mitta­ni. Die Bevölkerung dieses Reiches bestand großenteils aus Hurritern, einer bereits seit dem 3. Jahrtausend im östlichen Obermesopotamien nachweisbaren Bevölkerung, deren Sprache sich im frühen zweiten Jahrtausend weit nach Westen, bis an das Mittelmeer verbreitet hatte. Die Dyna­stie von Mittani pflegte allerdings fremde Namen und religiöse Traditionen, die sie als enge Verwandte jener indo-arischen Bevölkerung ausweisen, welche später in Nordindien bezeugt ist.

Muršili I.

Den Durchbruch bei der Südexpansion erzielte erst Murši­li I. Ihn hatte Hattušili nach zahlreichen Auseinandersetzungen mit seinen eigenen Kindern (auch eine Tochter scheint einen Aufstand angeführt zu haben) und mit dem zunächst als Thronfolger vorgesehenen Sohn seiner Schwester zum Nachfolger bestimmt.

Muršili gelang nicht nur die Eroberung von Aleppo, sondern er zog auch in einem staunenerregenden Feld­zug über tausend Kilometer weiter euphrat­abwärts und eroberte Babylon, deren Könige allerdings längst die einst unter Hammurapi erworbene Machtstellung verloren hatten. Die­ses militärische Abenteuer war jedoch nicht von dauerhafter Bedeutung für das he­thitische Reich, schon auf dem Rückzug geriet das Heer in ernste Schwierigkeiten.

Thronstreitigkeiten und Königsmorde

Muršili wurde später von seinem Schwager Hantili ermordet, und damit setzte eine lange Phase blutiger Auseinandersetzungen inner­halb des Königshauses ein. Thronansprüche wurden anscheinend gern von dem Ehemann der Schwester des regierenden Herrschers angemeldet, und man hat daraus auf eine Konkurrenz von matrilinearen und patrilinea­ren Erbfolgetraditionen geschlossen. Die Quellen lassen in dieser Hinsicht aber keine eindeutigen Aussagen zu.

Die Nachfolger Muršilis I. und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen
Die äußere Machtstellung verfiel bei diesen Thronstreitigkeiten schnell. Die Kon­trolle über Nordsyrien ging verloren, Süd­westanatolien („Arzawa“), wo noch Hattušili I. gekämpft hatte, wurde selbständig. Sogar in Kizzuwatna, dem Land, das die Ver­bindung zwischen dem Hethiterreich und Nordsyrien einschließlich des wichtigsten Taurospasses („Kilikische Pforte“) besetzte, etablierte sich eine einheimische Dynastie, die bald unter den Einfluss des Reiches von Mittani geriet.

Energische Anstrengungen zu einer Verbesserung der ökonomischen sowie der innen- und außenpolitischen Lage unternahm der König Telipinu in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. Er legte an zahlreichen Orten des Reiches Speicher an und stellte zahlreiche Urkunden über Landschenkungen aus. Durch einen Thronfolgeerlass versuchte er Machtkämpfe innerhalb der königlichen Familie zu verhindern. Mit dem König von Kizzuwatna schloss er einen Vertrag zur Herstellung geordneter und friedlicher Beziehungen. Allerdings war auch seine lange Regierungszeit nicht frei von Auseinandersetzungen und politischen Morden.

Die Nachfolger Telipinus.

Tuthalija I., Arnuwanda I. und Tuthalija II.

Die Schwächephase des hethitischen Reiches dauerte noch ein halbes Jahrhundert an, bis – nach zwei wei­teren Königsmorden – mit Tuthalija I. ein König auf den Thron kam, dem es gelang, zumindest vorübergehend verlorene Machtposition wiederher­zustellen. Er bewog den König von Kizzu­watna mit großzügigen Versprechungen zum Abfall von Mittani, annektierte aber wahr­scheinlich später dessen ganzes Königreich.

Kizzuwatna war seit langem hurritischen Ein­flüssen ausgesetzt gewesen, und hurritische Kulte und Riten hatten dort Verbreitung ge­funden. Nach dem Anschluss an das Hethiter­reich wurden diese fremden Kulte und Riten von der hethitischen Oberschicht übernom­men. Vielleicht spielten dabei auch dyna­stische Heiratsverbindungen eine Rolle, je­denfalls tragen die Mitglieder der hethitischen Königsfamilie von dieser Zeit an öfter hurri­tische Namen. Zahlreiche hurritische Be­schwö­rungen, Gebete, Omina, Mythen und Epen werden nun für die Tempel- und Palast­bibliotheken in der Hauptstadt Hattuša und anderen Orten wie Šapinuwa (türk. Ortaköy, bei Ço­rum) abgeschrieben.

Tuthalija I. gelang sogar erneut die Eroberung von Aleppo, und zusammen mit seinem Sohn Arnuwanda leitete er einen Feldzug gegen das Land Aššuwa in West­anatolien.

Ein Schwert, das der Inschrift zufolge aus der Beute stammte, die Tuthalija I. bei seinem Feldzug gegen Aššuwa machte.

Alle diese militärischen Erfolge waren jedoch von kurzer Dauer, denn wenig später sah sich das Hethiterreich einer ge­fährlichen Bedrohung seiner Kerngebiete gegenüber. In der pontischen Gebirgsregion nördlich der Hauptstadt Hattuša lebten zu dieser Zeit die Kaškäer, die ihren Lebensunterhalt aus Ackerbau und Viehzucht gern durch Überfälle auf hethitische Dörfer und Städte verbesserten.

Zur Zeit Arnuwandas I. und noch einmal unter dessen Sohn und Nachfolger Tuthalija II. nahmen diese Kaškäer-Einfälle in das hethitische Gebiet ein katastrophales Ausmaß an. Zahlreiche Orte wurden verwüstet, ihre Heiligtümer geplündert, ihre Bevölkerung vertrieben, umgebracht oder verschleppt. Schließ­lich sah sich die Hauptstadt selbst bedroht, möglicherweise wurde sie sogar in Brand gesteckt. Später in Tuthalijas Regierungszeit konsolidierte sich das Reich bis zu einem gewissen Grade wieder und versuchte anscheinend, die Kontrolle über Kizzuwatna und das südlich anschließende Alalah zurückzugewinnen.

Tuthalija II. residierte zunächst anscheinend gern in Šapinuwa (Ortaköy), während er sich in seiner späteren Regierungszeit öfter in der am oberen Kızıl İrmak gelegenen Stadt Šamuha (wohl Kayalıpınar westlich von Sivas) aufhielt und aus Krankheitsgründen die Heeres­leitung seinen Generälen überließ.

Šuppiluliuma I.

Dabei zeichnete sich besonders ein Prinz namens Šuppiluliuma aus, der mit einigem Erfolg gegen die Kaškäer kämpfte. Nachdem die unmittelbare Bedrohung der hethitischen Kernlande gebannt war, betrieb Šuppiluliuma erfolgreich die Rückerobe­rung Südwestanatoliens, wo sich zuvor das Königreich Arzawa soweit gefestigt hatte, dass es sogar in diplomatischen Kontakt mit dem Pharao treten konnte.

Mit dem Prestige des erfolgreichen Heerführers konnte Šup­piluliuma es nach dem Tode seines Vaters wagen, nach der Königswürde zu greifen, die eigentlich seinem Bruder oder Halbbruder Tuthalija (III.) zustand. Tuthalija wurde ermordet -, der erste Königsmord seit vier Generationen, der aber dann der letzte bis zum Untergang des Reiches bleiben sollte.

Gewissermaßen zur Rechtfertigung seiner Thronbesteigung unternahm Šuppiluliuma bald darauf einen Feldzug, der für die weitere hethitische Geschichte entscheidend wurde und der die sog. „Großreichszeit“ einleitet. Um ihn richtig einzuschätzen, muss man sich die politische „Großwetterlage“ jener Zeit vergegenwärtigen.

Die Hauptmächte Vorder­asiens beim Regierungsantritt Šuppiluliu­mas waren Ägypten, Mittani und Babylonien. Ägypten kontrollierte seit langem Palästina und die südliche Hälfte Syriens und hatte nach langen kriegerischen Auseinander­set­zungen einen friedlichen Ausgleich mit Mittani gefunden, das Nordsyrien, Obermeso­potamien und Assyrien beherrschte.

Über den intensiven diplomatischen Verkehr zwischen den Herrschern der drei Länder geben die Staatsarchive der Pharaonen Auskunft, die in Amarna in Mittelägypten gefunden wurden. Sowohl Ägypten als auch Mittani waren längst nicht mehr die starken expansiven Mi­litärmächte wie ein Jahrhundert zuvor. Vor allem in Mittani erfuhr die Zentralgewalt durch einen Königsmord und eine Usurpa­tion, wahrscheinlich auch durch soziale und wirtschaftliche Fehlentwicklungen eine er­hebliche Schwächung. An seiner Ostflanke hatte sich Assyrien gerade wieder selbständig gemacht, als Šuppiluliuma zu einem Ver­nichtungsschlag ausholte und versuchte, das Mittani-Reich in seinem Zentrum zu treffen. Sein Versuch, die Hauptstadt Waššukkanni zu er­obern, scheiterte allerdings an logistischen Schwierigkeiten. Er zog daher in die west­lichen Gebiete des Mittani-Reiches und er­oberte alle mittanischen Vasallenstaaten west­lich des Euphrats. Dabei geriet er jedoch in einen Konflikt mit Ägypten, als er einen Vasall des Pharao, der ihm feindlich entge­gen gezogen war, besiegte. Zu einer ener­gi­schen Gegenwehr war Ägypten allerdings in einer Zeit der religiösen Reformen – es re­gierte der Pharao Echnaton – nicht in der Lage.

In diese Zeit fällt ein ungewöhnliches Ereignis: Der Pharao stirbt (über seine Iden­tität gibt es seit Jahrzehnten divergieren­de Meinungen), und der ägyptische Hof sieht keinen anderen Ausweg mehr als die Ver­bindung mit dem mächtigen Gegner. Die Kö­niginwitwe bittet Šuppiluliuma um Ent­sendung eines seines Söhne, der ihr Gatte und König von Ägypten werden soll – ein erstaun­licher Schachzug in der gegebenen Situation. Šuppiluliuma zögert lange –, wohl zu lange, denn als er sich endlich entschließt, auf den Vorschlag einzugehen, scheinen sich die Machtverhältnisse in Ägypten geändert zu haben, und der schließlich nach Ägypten geschickte hethitische Prinz wird ermor­det.

Die letzten Regierungsjahre Šuppi­luliumas waren von Feldzügen gegen Ägyp­ten und insbesondere gegen die Assyrer aus­gefüllt, die in der Zwischenzeit die östlichen Teile von Mittani erobert hatten. Šuppilu­li­uma gelang es, in Waššukkanni Šattiwazza, ein Mitglied der alten mittanischen Dynastie, der nach dem Zusammenbruch Mittanis bei ihm Zuflucht gesucht hatte, als König zu etablieren.

Muršili II.

Nach dem Tod Šuppiluliumas um 1320 v.Chr. wurde erneut deutlich, wie sehr Macht und Stabilität vom Charisma des Herr­schers abhingen; die Institution „Staat“ war als solche wenig entwickelt und strukturell gefestigt. Die hethitischen Heere hatten von ihren Ägypten-Feldzügen eine gefährliche Seuche ins Hethiterland einge­schleppt, die jahrzehntelang wütete und der wohl auch der Nachfolger Šuppiluliumas, Arnuwanda II., nach nur kurzer Regierung zum Opfer fiel.

Daraufhin bestieg ein ganz junger Prinz den Thron, der noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich militärisches Prestige zu erwerben. Dieser König trug den anspruchsvollen Namen Muršili, doch musste er seine lange Regierungszeit weitgehend dem Erhalt und der Sicherung des ererbten Reiches widmen und konnte nicht an hochfliegende Pläne wie sein gleichnamiger Vorfahr, der Eroberer Babylons, denken. Insgesamt jedoch war Muršili II. erfolgreich. Es gelang ihm, die Kontrolle über Arzawa in Westanatolien zurückzugewinnen und dort mehrere Herrscher durch Vasallenverträge zur Loyalität zu verpflichten. In Syrien kam ihm zugute, dass Ägypten unter den letzten Pharao­nen der 18. Dynastie (Tutanchamun und Eje) zunächst nicht in der Lage war, aus der schwierigen Situation der Hethiter größeren Nutzen zu ziehen, auch wenn der General und nachmalige König Haremhab in Syrien intervenierte.

Für Muršili war es eine große Hilfe, dass sein älterer Halbbruder, den Šuppiluliuma als König der wichtigen nordsyrischen Stadt Kargamiš (am Euphrat an der heutigen türkisch-syri­schen Grenze) eingesetzt hatte, loyal die Interessen des Großkönigs vertrat und Auf­stände in Syrien unterdrückte.

Muwattalli II.

Der latente Konflikt mit Ägypten brach offen aus, als sich die 19. Dynastie gefestigt hatte und mit Ramses II. ein Pharao auf den Thron kam, der die von Šuppi­luliuma geschaffenen Machtverhält­nisse in Syrien nicht länger akzeptierte. Auch in Hatti war inzwischen ein Thronwechsel erfolgt. Zwischen den Heeren Ramses II. und Muwattallis II. kam es 1274 bei Kadesch in Mittelsyrien zu der wohl größten Schlacht des 2. Jahrtausends. Die Ägypter entgingen mit knapper Not einer schweren Niederlage, doch konnten die Hethiter ihre Überlegenheit nicht in einen wirklichen Sieg verwandeln. Der territoriale Status quo blieb erhalten.

Das erstaunlichste Ereignis der Regierung Muwattallis ist die Verlegung der Hauptstadt. Neue Residenz des Großkönigs wurde Tarhuntaša, ein Ort, der bis heute nicht wiedergefunden wurde, der aber jeden­falls weit südlich von Hattuša, jedoch nördlich des Tauros-Gebirges, zu suchen ist.

Siegel Mursilis III., Sohn von Muwattalli II.

Die Verwaltung des Nordens überließ Muwattalli seinem jüngeren Bruder Hattušili. Dieser war anscheinend sehr erfolg­reich in der Rückgewinnung und Wiederbe­siedlung von Gebieten, die die Kaškäer verwüstet hatten. Als Muwattalli starb, hatte sein Sohn Urchiteššub einen schweren Stand gegenüber seinem ehrgeizigen und intriganten Onkel, der ihn schließlich absetzte und selbst den Thron bestieg.

Hattušili III.

Hattušili III. hat uns ein bemerkenswertes Dokument hinterlassen, das heute als seine „Apologie“ bezeichnet wird und in dem er seinen Thronraub damit recht­fertigt, dass seine persönliche Schutzgottheit ihn dabei geleitet und sein Neffe ihm durch sein Verhalten keine andere Wahl gelassen habe.

Das Hauptverdienst Hattušilis ist sicherlich, dass er die Beziehungen zu Ägyp­ten durch Abschluss eines Friedens- und Freundschaftsvertrages dauerhaft zu regeln vermochte. Noch Jahrzehnte später schickte ein Pharao auf die Nachricht von einer Hungersnot hin Schiffe mit Getreide nach Anatolien.

Das Felsrelief von Fıraktin, das Hattušili III. (zweiter von links) und seine Gemahlin Puduheba (ganz rechts) bei Opfern für die höchsten Gottheiten von Hatti zeigt.

Tuthalija IV.

Hattušilis Sohn und Nachfolger Tuthalija IV. musste sich in den Anfängen seiner Regierungszeit mit den vordringenden Assyrern auseinandersetzen. Auch gab es möglicherweise einen Aufstand, der von einem Sohn Muwattallis, Kurunta, ausging. Dieser war als König von Tarhuntaša eingesetzt worden, nachdem Hattušili die großkönig­liche Residenz wieder von dort nach Hattuša zurückverlegt hatte.

Kurunta und Tuthalija waren Jugendfreunde gewesen, wie einem Vertrag zwischen den beiden zu ent­nehmen ist, welcher 1986 auf einer Bronze­tafel in Hattuša gefunden wurde. Dies hin­derte Kurunta aber anscheinend nicht, nach der Großkönigswürde zu greifen, auf die er nicht ganz zu Unrecht wohl einen Anspruch zu haben glaubte. Auch wenn Tuthalija IV. entgegen früherer Meinung nicht der Gründer der ausgedehnten Oberstadt von Hattuša war, konnte er in Hattuša und anderorts ein umfang­reiches Bauprogramm realisieren, wie durch seine Inschriften in der seit dieser Zeit stärker verwendeten Hieroglyphenschrift deutlich wird.

Relief aus der Oberstadt von Hattuša mit der Darstellung Tuthalijas IV.

Šuppiluliuma II.

Das Ende des Hethiterreichs kam eine Generation danach. Der letzte König trug den Namen des Gründers des hethitischen Groß­reiches. Šuppiluliuma II. scheint in mancher Hinsicht durchaus erfolgreich gewesen zu sein, doch waren inzwischen Entwicklungen eingetreten, die zum Zusammenbruch der Welt der vorderasiatischen Bronzezeit führ­ten.

Vom ägäischen Raum her fielen See­räuber, die sogenannten „Seevölker“, mit der Gewalt eines Wikingersturms über die Küsten Anatoliens und der Levante her, Hungersnöte führten zu Völkerwanderungen, weite Teile Vorderasiens versteppten und wurden zu Weidegründen für Nomadenstämme. Die tra­ditionellen Reiche Assyrien und Babylonien schrumpften auf ihre Kerngebiete, das He­thiterreich verschwand ganz von der Land­karte. Auch der griechisch-ägäische Raum war betroffen, wie die Zerstörung der myke­nischen Burgen zeigt. Es gibt Indizien, dass diese Katastrophen letztlich von großräumigen klimatischen Veränderungen ausgelöst wurden, doch ist hier noch weitere Forschung wünschenswert.

Mangels Quellen wissen wir bis heute auch nicht, wer oder was den Untergang der hethitischen Hauptstadt und das Ende der Dynastie herbeiführte. War es die von Hunger geplagte Landbevölkerung? Waren es die Kaškäer, die ein Jahrhundert lang die die Sicherheit der Hauptstadt bedroht hatten? Waren es neu zugewanderte Völkerschaften wie die Phryger, die später in diesem Raume siedelten? Welche Rolle spielten interne Pro­bleme wie soziale Antagonismen und Selb­ständigkeitsbestrebungen von Vasallen?

Anscheinend wurde die Hauptstadt Hattuša verlassen und verfiel, bis die funktionslos gewordenen Großbauten zum Teil in Flammen aufgingen. Im Gebiet von Tarhuntaša und vor allem in Südostanatolien sowie Nord- und Mittelsyrien hielten sich allerdings hethitische Traditionen noch längere Zeit. Die Könige von Karga­miš, die einer Nebenlinie der großkönig­lichen Dynastie angehörten, nahmen nach der Zerstörung Hattušas den Großkönigstitel an. Ein Zweig dieser Familie gründete ein Königtum in Arslantepe bei Malatya am oberen Euphrat. Selbst in Hama in Mittelsyrien regierten noch einige Jahrhunderte lang Herrscher, die sich in hethitischer Tradition sahen.

Als allerdings im 9. Jh. v.Chr. das wiedererstarkte Assyrien begann, seine Machtsphäre nach Westen auszudehnen, hatten die Kleinstaaten der hethitischen Welt dem Ansturm der neuen Großmacht wenig entgegenzusetzen. Nach und nach wurden sie den assyrischen Königen tributpflichtig, und schließlich gingen sie ganz im Neuassyrischen Reich auf.

Dem Text liegt der Aufsatz „Das anatolische Reich der Hethiter“ (G. Wilhelm) erschienen in: DAMALS 29. Jg., 2/1997, 13-18, zugrunde.


© Gernot Wilhelm 2013