Tontafeln 3 D

Die Wiedergabe von Textzeugnissen des neben den ägyptischen Hieroglyphen ältesten Schriftsystems, der Keilschrift, die von etwa 3300 v. Chr. bis kurz nach Christi Geburt in Gebrauch war und mittels derer Zeugnisse von etwa einem Dutzend Sprachen (darunter vor allem Sumerisch, Akkadisch und Hethitisch) überliefert sind, wirft besondere Probleme auf, wie sie bei anderen Schriften nicht begegnen. Der Schriftträger ist in doppelter Hinsicht dreidimensional: Es handelt sich in der Regel um eine Tontafel, die fast immer zumindest auf einer Seite gewölbt, manchmal sogar kissenförmig ist, wobei die (horizontalen, von links nach rechts geschriebenen) Schriftzeilen oft bis auf den abgerundeten rechten Rand reichen. Auch der oft abgerundete untere Rand trägt nicht selten Schrift. Die einzelnen Schriftzeichen sind ihrerseits wiederum dreidimensional, da sie mit einem Griffel in den feuchten Ton gedrückt sind, wodurch sich der charakteristische "Keil" als Element der danach benannten Schrift (engl. cuneiform) ergibt.

   Die Lesung einer Keilschrifttafel setzt eine Beleuchtung der Tafel voraus, und zwar idealiter von links oben, wobei durch Drehen der Tafel gegenüber der Lichtquelle die Identifikation eines Zeichens oder Zeichenrestes erleichtert wird. 

   Die beiden üblichen Publikationsformen von Keilschriftquellen - Autographie (Handkopie) und Photographie - ersetzen die Konsultation der Originaltafel nicht vollständig: Im ersteren Fall enthalten sie immer ein Element der Interpretation, im letzteren Fall schränken Lichteinfall und Verkürzungen im Randbreich die Auswertbarkeit ein. Beim Photo und auch bei der Holographie entsteht die Auf­nahme stets bei einem bestimmten Einfallwinkel des Lichts, wodurch Teile eines Zeichens nicht oder nicht deutlich wiedergegeben werden können. Im Photo kommt die fehlende Tiefe hinzu, wodurch bei beschädigten Stellen oft nicht zu entscheiden ist, ob eine auf ein Keilschriftzeichen deutende Spur tatsächlich der erhaltene tiefste Teil des Keileindrucks oder eine zufällige Struktur im Bruch der abgebrochenen oder abgeplatzten Tafeloberfläche ist.

Häufig sind auf Tontafeln Abrollungen von Zylindersiegeln oder Abdrücke von Stempelsiegeln (quasi als Unterschriften oder in älteren Urkunden als Wasserzeichen) zu finden, die bei der Auswertung für die Identifikation von Personen von Bedeutung sind. Darüber hinaus sind sie auch für Archäologen von Interesse. Da diese Abrollungen zumeist nur ein fragmentarisches Abbild des Originalsiegel wiedergeben, können die Spuren nur mit großer Sachkenntnis der Siegelinhalte und -formen rekonstruiert werden. Daher wurden Text und Siegelabrollungen meist getrennt publiziert, was die Auswertung wiederum erschwert.

   Das Original kann oft durch Abgüsse ersetzt werden, wenn diese Materialien verwenden, wie sie in der zahnärztlichen Medizin üblich sind. Allerdings sind solche Abgüsse meist nicht zu erlangen, ihre Herstellung ist wegen des hohen Personalaufwandes äußerst kostspielig. Aus Kostengründen werden Photographien fast ausschließlich schwarz-weiß publiziert, was ihre Lesbarkeit weiter beeinträchtigt.

Daher lag es nahe, nach Möglichkeiten einer dreidimensionalen Darstellung zu suchen. Es hat Versuche mit Hologrammen gegeben (Prof. Walter Sommerfeld, Marburg), die einen dreidimensionalen Eindruck der Tontafeln bei sehr hoher Auflösung vermitteln, an den Rändern aber dieselben Probleme der Wiedergabe haben wie Photographien. Die Kosten der Reproduktion von Hologrammen werden zumindest auf absehbare Zeit noch sehr hoch sein und vor allem sind Hologramme nicht für die Verbreitung über das Internet geeignet.

Bereits nach ersten Präsentationen von und Diskussionen über Hologramme(n) von Keilschrifttafeln (1994) kamen wir zu dem Ergebnis, daß solche Hologramme nicht das Bedürfnis nach einer vollständig objektiven Dokumentation befriedigen, da sie die dreidimensionalen Eindrücke der Keilschriftzeichen unter einem bestimmten, nicht veränderbaren Lichteinfallswinkel sichtbar machen. Die Erfahrung der Arbeit an Originalen in Museen zeigt aber, daß die gewünschte volle Information nur zu erlangen ist, wenn die Tontafel im Licht gedreht werden kann, und wir hofften seitdem, daß die stürmische Entwicklung von hard- und software es in absehbarer Zeit ermöglichen würde, dies in einer Computersimulation zu wiederholen.

Seit 1999 beschäftigt sich G. Müller intensiv mit der 3D-Digitalisierung von Keilschriftdokumenten. Die Aufbereitung von Tontafeln für eine 3D-Präsentation umfasst drei Schritte:

1.  Berührungsfreie Vermessung der Oberfläche mittels eines Lasers, da sich taktile Methoden auf Grund der Empfindlichkeit der Objekte verbieten.

2.  Aufbereitung der Messdaten zu einem 3D-Modell

3.  Reduktion und Komprimierung der Modelldaten sowie Portierung auf ein internetfähiges Standardformat

G. Müller führte (auf eigene Kosten) eine Reihe von Versuchen zusammen mit Firmen durch, die durch ihre Spezialisierung jeweils mit einem oder zwei der obigen Schritte vertraut sind und dafür jeweils spezifische, kommerzielle Lösungen entwickelt haben. Durch intensive Internetrecherchen, Kontakte zu Firmen und Besuche von Messen konnte er sich einen guten Überblick über die technischen Möglichkeiten weltweit verschaffen.

Zur Eruierung der Möglichkeiten dreidimensionaler Erfassung von Keilschrifttafeln wurden im Frühjahr 2000 bei den Firmen Phototechnik Cassel (Köln), Minolta (Ahrensburg bzw. Hannover) und Steinbichler Optotechnik (Neubeuern) Probemessungen an Tontafelabgüssen durchgeführt. Erste Experimente für eine echte, dreidimensionale Darstellung wurden mit einer Minolta 3D-1500 durchgeführt. Diese Digitalkamera nimmt zugleich mit der Helligkeit und Farbe einzelner Punkte deren Abstand zur Filmebene auf. Von Vorteil wäre ihre Handlichkeit und ihr relativ geringer Preis, da damit auch Grabungsexpeditonen ausgestattet werden könnten, deren Philologe neu ausgegrabene Tontafeln am Grabungsort aufnehmen könnte. Es stellte sich allerdings heraus, dass die geometrische Auflösung zwar die Gestalt der Tontafeln, nicht aber die einzelnen eingedrückten Schriftzeichen zu erfassen in der Lage war. Die Digitalisierung erfolgt durch Aufnahmen von mehreren Seiten, die mit Hilfe einer Software zusammengefügt werden. Über das geometrische Raster werden die Farbaufnahmen gelegt. Bei den einzelnen Farbbilder zeigt sich die bekannte Problematik des Spiels von Licht und Schatten bei der Aufnahme von Tontafeln. Dort, wo sich die einzelnen Farbbilder überlappen, kommt es dadurch häufig zu Unschärfen. Für größere archäologische Objekte und die Aufnahme von Grabungsergebnissen zur 3-dimensionalen Erfassung ist die Kamera zu empfehlen. Mittlerweile hat Minolta leistungsstärkere Geräte auf den Markt gebracht (VI-700 und VI-900), die den Anforderungen bei der Aufnahme von Tontafeln teilweise gerecht werden. Bei Tests wurde klar, daß die Aufnahme von Tontafeln sich auf die geometrische Vermessung beschränken sollte, da Farbwerte die Lesbarkeit beeinträchtigen, insbesondere bei Verfärbungen des Tons.

Im Herbst 2000 gelang die erste Digitalisierung einer Originaltafel des Kapuzinerklosters Münster mit freundlicher Unterstützung der Firma Steinbichler, die seit Oktober 2000 im Internet veröffentlicht ist.

Durch diese Veröffentlichung ergaben sich zahlreiche internationale Kontakte. IBM überarbeitete sein 3D-Präsentationsprogramm Hotmedia, damit es die großen Datenmengen unserer Keilschriftmodelle verarbeiten kann. Eine enge Kooperation besteht mit dem Archaeology Technologies Laboratory der North Dakota State University, speziell im Bereich der Aufbereitung und Darstellungsprogramme.

Derzeit laufen mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Messungen an Staatsverträgen der Hethiter, die im Rahmen des Projekts zur Veröffentlichung dieser Dokumente präsentiert werden sollen. Hierbei wurde mit freundlicher Unterstützung der Firma Ortholutions die Leistungsfähigkeit des neuesten Minolta-3D-Scanners getestet. Weitere Messungen mit COMET-Sensoren der Firma Steinbichler sind ins Auge gefaßt. Sie bietet insbesondere für sehr kleine Schriften (die Höhe der komplexen Keilschriftzeichen beträgt in manchen Fällen lediglich 1 mm) die beste derzeit verfügbare Hardware.

In besonders schwierigen Einzelfällen können Digitalisierungen bis zu einer Auflösung von 1 µm vorgenommen werden. Da hierbei punktweise gemessen wird, ist dieses Verfahren deutlich langsamer und daher nur in Einzelfällen anzuwenden.

Als Zukunftsvision ist bei dieser Technologie im Auge zu behalten, dass die sehr zeitaufwendige Rekonstruktion zerbrochener Tontafeln mit entsprechender Software erleichtert werden könnte, indem diese mögliche Joins evaluiert. Solche dreidimensionalen Puzzle sind derzeit noch Gegenstand von Forschungsarbeiten.

(Erstpublikation 2000, Umzug auf hethiter.net 2002)


=> Höhenprofile von Tontafeln (2005)



    Beispiele





    1. Hotmedia

Das erwähnte Programm von IBM ermöglicht die ressourcenschonende Darstellung und Distribution dreidimensionaler Objekte über das Internet.Voraussetzung ist ein JAVA-fähiger Internetbrowser. Als Beispiele stehen derzeit 3 Tontafeln zur Verfügung:

1. Altakkadische Urkunde aus Umma

2. Urkunde aus Nuzi

3. Fragment eines hethitischen Staatsvertrags


    2. STL-Modelle

Um eine Vorstellung von der Bedeutung der Beleuchtung zu bekommen, eignet sich ein STL-Modell einer Tontafel in Verbindung mit dem Programm Solid View Lite. Das kostenlose Programm ist auf einem Windows-PC zu installieren, danach das Modell auf der Festplatte zu speichern und zu laden. Sowohl das Modell als auch das Licht können beliebig gedreht werden. Ein entsprechendes plattformunabhängiges Programm ist in Entwicklung.









Mit freundlicher Unterstützung von: